Eco-Fashion Interviews

Zirkuläre Schatzkarte für den Kleiderschrank: Der A-GAIN GUIDE im Interview

Was passiert mit einem Lieblingsstück, das ein Loch hat? Oder mit einer Jacke, die nicht mehr passt, aber zu schade zum Wegwerfen ist? Der A-GAIN GUIDE hat darauf eine Antwort! Als digitale Plattform zeigt er die kreativsten und effizientesten Wege zur Reparatur, Weitergabe und Wiederverwendung von Kleidung. Ziel ist es, nachhaltige Alternativen sichtbar zu machen, lokale Akteur:innen zu stärken und einen echten Wandel im Umgang mit Textilien anzustoßen.

Hinter dem Projekt steht die gemeinnützige Organisation Circular Berlin, gemeinsam mit Designer:innen, Entwickler:innen und Partner:innen aus der nachhaltigen Modeszene. Der A-GAIN GUIDE wurde lokal für Berlin entwickelt; Ende September wird auch der Guide für Hamburg gelauncht. Seit dem Start hat sich das Projekt stetig weiterentwickelt – und will künftig auch andere Städte auf dem Weg zur zirkulären Textilzukunft begleiten. Im Interview erzählt Projektmanagerin Sarah Keller, wie die Plattform funktioniert, welche Barrieren sie abbauen möchte – und warum es sich lohnt, unsere Kleidung länger zu lieben.

Interview mit Sarah Keller von Circular Berlin

Was ist die Grundidee hinter dem A-GAIN GUIDE?

Die Grundidee ist, Reparatur und Wiederverwendung von Textilien einfach, schnell und unkompliziert zu ermöglichen. Unsere Vision ist, dass Kleidung in endlosen Kreisläufen weiterverwendet, aufgewertet und weitergegeben wird. Wie wir auf unserer Website sagen: „So gewinnen gebrauchte oder ungenutzte Kleidungsstücke immer wieder an neuem Wert und können ihre Reise fortsetzen — A-GAIN & A-GAIN.“

Wir wollen mit unserer Plattform Lösungen und Anbieter:innen von Lösungen direkt in der Nachbarschaft sichtbar machen. Die Plattform wurde Open Source entwickelt und ist kostenlos für Nutzer:innen und Akteur:innen.

Wie funktioniert die Plattform?

Über eine Kartenfunktion mit Filtern können Berliner:innen gezielt nach Angeboten suchen, die helfen, Kleidung zu reparieren, zu pflegen oder weiterzugeben. Akteur:innen können sich über ein Registrierungsformular selbst auf der Karte eintragen.

Der GUIDE ist ein interaktiver Fragebogen, der den Nutzer:innen passende Lösungen für ihre Kleidungsstücke vorschlägt. Ein integrierter CO₂-Kalkulator zeigt dabei, wie viel Emissionen im Vergleich zum Neukauf eingespart werden. Mit dem REPAIR PRICE CHECK können Nutzer:innen herausfinden, was eine Reparatur mindestens kosten sollte, um fair für die Reparaturbetriebe zu sein. Unsere KNOWLEDGE-Page bietet vertiefende Informationen und Ressourcen zu den Themen Rethink, Care, Repair, Remake, Share und Recirculate – darunter Tutorials, Buchempfehlungen, Organisationen und Events.

A-GAIN GUIDE Circular Fashion

Ihr habt den A-GAIN GUIDE ursprünglich 2021 in Berlin gestartet – wie hat sich die Plattform seitdem weiterentwickelt? Was waren die wichtigsten Learnings aus den ersten Jahren?

Wir sind mit der MAP und dem GUIDE gestartet. Dank einer Förderung der Deutschen Postcode Lotterie konnten wir später die KNOWLEDGE-Page ergänzen. Über eine weitere Förderung durch die Berliner Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt haben wir den CO₂-Kalkulator integriert und eine Studie zu fairen Reparaturpreisen in Berlin durchgeführt. Daraus ist der REPAIR PRICE CHECK entstanden.

Außerdem haben wir Hamburg als erste Kooperationsstadt gewonnen. In diesem Zusammenhang haben wir auch eine Guideline zur Replikation entwickelt – ein erster Auszug wird bald auf unserer Website veröffentlicht.

Ein wichtiges Learning: Sichtbarkeit ist entscheidend. Social Media, Events und stadtweite Kampagen sind zentrale Kanäle, um Reichweite zu schaffen. Ein weiteres Thema ist die Registrierung von Akteur:innen auf der MAP. Die Reparaturbranche in Berlin ist international geprägt, was oft zu Sprachbarrieren führt. Deshalb haben wir eine Informationsbroschüre in zehn Sprachen entwickelt.

Ihr habt den A-GAIN GUIDE für Hamburg angekündigt. Gibt es Pläne, den Guide auf andere Städte in Deutschland auszudehnen?

Wir sind gerade dabei die letzten Vorbereitungen zu treffen, um den Guide online zu schalten. Der Launch ist für Ende September mit einem spannenden Event geplant. Langfristig wollen wir den A-GAIN GUIDE auch in andere Städte in Deutschland und Europa bringen. Dafür haben wir im Rahmen der Projektförderung durch die BUKEA Hamburg eine Guideline zur Replikation entwickelt.

Der Guide kann entweder 1:1 übernommen oder auf andere Sektoren übertragen werden. Dafür haben wir drei Replikationstypen (A, B, C) definiert. Bei Interesse klären wir die Details gerne in einem persönlichen Gespräch mit gemeinnützigen Organisationen.

A-GAIN GUIDE Kreislaufmode

Auf der A-GAIN GUIDE Plattform bietet ihr eine Übersicht von Reparaturmöglichkeiten in der Stadt an, inklusive fairer Preisgestaltung. Welches Problem wollt ihr hiermit adressieren?

Reparaturbetriebe haben in der Stadt oft wenig Sichtbarkeit – sie sind selten digital präsent, haben oft keine Website oder Ressourcen für Marketing. Wir wollen diese Akteur:innen unterstützen und ihre Arbeit wertschätzen. Die Branche ist vom Fachkräftemangel und Nachwuchsproblemen betroffen, viele Betriebe kämpfen ums Überleben.

Unsere Recherchen zeigen: Viele Reparaturbetriebe arbeiten unter dem Existenzminimum. Obwohl ihre Preise als hoch empfunden werden, sind sie in Wirklichkeit oft zu niedrig, um ein tragfähiges Geschäftsmodell zu sichern. Mit dem REPAIR PRICE CHECK wollen wir Nutzer:innen spielerisch sensibilisieren: Was ist ein fairer Mindestpreis? Wie viel Zeit steckt hinter einer Reparatur? So schaffen wir mehr Transparenz und Wertschätzung für diese Arbeit.

In einem kürzlich im Lilli Green Magazin veröffentlichten Interview mit Repartly wurde eine Lücke zwischen dem Wunsch zu reparieren und der tatsächlichen Umsetzung beschrieben. Seht ihr eine ähnliche Lücke bei Kleidung? Was sind die Hauptbarrieren?

Definitiv. Unsere Umfrage unter Berliner:innen zeigt, dass viele zwar Reparaturbetriebe kennen, aber dennoch selten deren Angebote nutzen – es besteht eine klare Wissens-Verhaltenslücke. Wir haben auch festgestellt, dass ein großes Interesse an Gemeinschafts-Workshops und Selbermachen besteht.

Zu den größten Barrieren zählen vor allem der als zu hoch empfundene Preis, mangelnde Zeit sowie ein oft nicht ausreichend niederschwelliger Zugang zu Reparaturangeboten. Für viele Menschen erscheint der Neukauf von Kleidung letztlich als die einfachere und bequemere Alternative.

>> Reparieren statt Wegwerfen – Wie Repartly die Kreislaufwirtschaft in Schwung bringt – Interview mit Dr. Lennart Osthoff

Obwohl Reparatur und nachhaltige Mode medial präsent sind, fällt die Umsetzung vielen Konsument:innen schwer. Was könnte helfen, um mehr Menschen zum Reparieren zu motivieren – und welche Rolle spielt der A-GAIN GUIDE?

Soziale Normen und kulturelle Prägung spielen eine große Rolle – Reparatur wird oft noch mit Armut assoziiert. Dieses Stigma gilt es zu überwinden. Gleichzeitig ist es wichtig, die unterschiedlichen Lebensrealitäten zu berücksichtigen: Nicht alle Menschen haben die gleichen Ressourcen oder Möglichkeiten.

Deshalb braucht es politische Maßnahmen, die Reparatur attraktiver machen – etwa steuerliche Anreize. Gleichzeitig muss Reparatur auch Freude machen, einfach zugänglich sein und als wertvolles Handwerk verstanden werden. Reparieren ist oft aufwändiger als Neuproduktion.

Der A-GAIN GUIDE kann hier als Vermittler fungieren – indem er informiert, verbindet und die Einstiegshürden senkt.

A-GAIN GUIDE Kleidung reparieren mit Online Karte

Fast Fashion ist nach wie vor weit verbreitet. Was müsste passieren, damit sich der Standard hin zu nachhaltiger und zirkulärer Mode verschiebt? Was ist der größte Hebel?

Der Preis ist ein zentraler Hebel. Solange nachhaltige Mode und Reparatur teurer sind als Fast Fashion, bleibt die Umstellung schwer. Die wahren ökologischen und sozialen Kosten werden von der Textilindustrie nicht eingepreist.

Zudem ist der einfache Zugang entscheidend. Viele kennen nur den Altkleidercontainer als Option. Online-Shopping ist bequem und günstig – lokale Lösungen wirken im Vergleich aufwendiger.

Um diese Barrieren zu überwinden, braucht es vor allem mehr Wissen über vorhandene Alternativen – genau hier setzt der A-GAIN GUIDE an. Gleichzeitig sind positive Nutzungserfahrungen entscheidend: Wiederverwendung und Reparatur müssen nicht nur einfach zugänglich, sondern auch attraktiv und motivierend gestaltet sein.

Mode ist emotional. Es geht nicht nur um Funktion, sondern auch um Identität, Stil und Wohlgefühl. Wenn Menschen durch Reparatur besondere Erinnerungen mit Kleidungsstücken verknüpfen – etwa das Upcycling eines geerbten Teils – stärkt das die emotionale Bindung und verlängert die Nutzungsdauer.

Wie sieht aus eurer Sicht die ideale Zukunft der zirkulären Mode aus?

In einer idealen Zukunft wird Kleidung über Generationen hinweg geschätzt, genutzt und weitergegeben. Neue Kleidungsstücke werden nur noch in sehr geringem Umfang aus gesunden, recycelbaren oder kompostierbaren Materialien und mit hoher Qualität hergestellt.

Zirkuläre Mode bedeutet für uns nicht nur Recycling, sondern vor allem ein gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Wandel hin zu längeren Nutzungsphasen. Erhaltende Praktiken wie Pflege, Reparatur und Weitergabe sollen eine zentrale Rolle einnehmen – nicht als Verzicht, sondern als Gewinn an Lebensqualität. Textilunternehmen fokussieren sich in dieser Zukunft nicht mehr auf den Verkauf neuer Kleidung, sondern auf Reuse & Repair als Hauptgeschäftsmodell.

Bilder via: A-GAIN GUIDE / Circular Berlin

 

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